Der Weinmacher Anders Selmer hat zusammen mit seinen Partnern Claus Meyer, dem Restaurant noma und dem Bauern Hans Lund Hansen einen Weißwein aus Trauben von Lilleø, nördlich von Lolland, geschaffen. Der Wein heißt „Arwen“, und er schmeckt gewaltig!
Rasmus Holmgård (Übersetzt von Johannes Haller – neuerhonig.de)
Ich greife nach der pummeligen und minimalistisch etikettierten Flasche und wackle den stilvollen Glaskorken mit einem fokussierten „Klick“ heraus, der geräuschdesignt sein könnte wie Mercedestüren und Cornflakesknacken. Hoffnungsvoll, aber gehörig skeptisch schenke ich einen Schluck der bleichgoldenen Flüssigkeit ein und hebe das Glas an die Nase. Die wird verwöhnt. Überrascht. Die Augenbraue wird angehoben. Was, zum Kuckuck!? Wein in den Mund; schlürfen, arbeiten, spielen, warten, reflektieren, spucken – nein, warte – schlucken! Nachgeschmack. Nachgedanke. Ein neuer Schluck, der die Sensation des ersten bestätigt: Ich stehe da mit einem dänischen Wein in meinem Glas, und ich genieße, was ich schmecke!
Schönheit ist nicht mehr nur ein Potential.
Im Ernst: dänischer Wein
Ich habe mich zuvor unterhalten gefühlt von dem Gedanken, daß beispielsweise der rote Avedørewein, Nordlund, oder ein bestimmter Perlwein vom Weingut Hjelm auf Møn tatsächlich dänisch waren. Aber die intellektuelle Distanz – eine Art Filter aus nationaler Nachsicht – ist bisher ein notwendiger Katalysator für die Qualität des Erlebnisses gewesen. Die Weine hatten es schwer damit, das gute Erlebnis allein im Geschmack zu tragen, und mit Preisen, die oft jenseits der 300 Kronen [43 €] liegen, hatten die Produkte ihre Berechtigung als witziges Kuriosum zum Mittagessen mit ausländischen Geschäftspartnern oder als geplantes Verwirrspiel für die anderen Nerds im Weinclub. Erst lachten wir über dänischen Wein. Dann lachten wir mit ihm. Aber ab heute hat sich das Blatt gewendet. Jetzt gibt es ernsthaften dänischen Wein!
Wirklich lieblich
Der Wein heißt „Arwen“ und ist die erste kommerzielle Veröffentlichung aus einer Zusammenarbeit zwischen dem Restaurant noma, Claus Meyer, Hans Lund Hansen – einem Bauern auf Lilleø – und Anders Selmer, der als der Weinmacher des Projekts kreativ verantwortlich ist. Der Wein ist benannt nach der Tochter des noma-Küchenchefs René Redzepi, aber meine erste Assoziation – die Verkörperung von Tolkiens Herr-der-Ringe-Charakter Arwen Abendstern durch die Schauspielerin Liv Tyler – ist doch auch nicht so schlecht. An sie würde ich gern die Lippen legen… Ob das auch so lieblich ist wie bei der Weinnamensschwester, kann nur meine Phantasie beantworten. Aber Arwen von Lilleø ist wirklich. Und wirklich lieblich!
Das lange nordische Licht
Insgesamt sind 2,6 Hektar mit Weinstöcken bepflanzt, von Lilleøs erbärmlichen gesamten 86. Nur 1,2 davon gaben die Früchte für den kürzlich freigegebenen 2008er Jahrgang von Arwen her, während die übrigen 1,4 ihre ersten 250 kg Früchte vor ein paar Wochen lieferten, als die Ernte des Jahrgangs 2009 abgeschlossen wurde. 2008 konnten Früchte für eine Gesamtproduktion von 2.300 Flaschen à 75 cl geerntet werden. Davon entfallen auf die Traubensorten Solaris 60%, Sauvignon Blanc 20%, Silvaner 12% und Riesling 8%, und eben die Verwendung der drei letztgenannten, internationalen Erfolgssorten ist laut Winzer Anders Selmer entscheidend für die Qualität von Arwen: „Meine Idee war, Wein aus einigen Traubensorten zu machen, die witziger sind als den normalerweise in Dänemark üblichen. Mehrere andere Winzer hatten schon vor längerer Zeit bewiesen, daß man hier Wein anbauen kann, also wollte ich gern einen Schritt weiter gehen.“ Und das hat Selmer getan. Arwen 2008 hat 12,11% natürlichen Alkohol als Konsequenz der sehr späten Ernte, d. h. 30. September für Solaris bzw. 29. November für die anderen Sorten. Und mit 5,1 g Säure und 0,8 g Restzucker pro Liter könnte der Wein fast im Elsaß gemacht worden sein. Ganz so viele Sonnenscheinstunden gibt es auf Lilleø nicht, aber laut Selmer ist das Licht trotzdem ein wichtiger Teil des Inselterroirs: „Wir arbeiten nicht so sehr mit Wärme, sondern mehr mit Licht. Sobald Licht da ist, gibt es Photosynthese (bei der die Pflanze Kohlendioxid und Wasser zu Zucker umbaut, R. H.), und wir nutzen sowohl die Reflexion des Sonnenlichts vom Wasser rings um die Insel aus als auch die langen Lichtzeiten der nordischen Sommer- und Herbstabende.“ Es wird also nicht notwendigerweise viel zukünftige Global-Warming-Hilfe für Lilleø herauszuholen sein. Vielleicht im Gegenteil. Der höchste Punkt der Insel liegt vier Meter über dem Meer.
Sauvignon blanc in Dänemark
2009 hat auch jede Menge Licht geboten – und jede Menge Wärme. So hat Anders Selmer eine qualitativ gute Ernte erhalten, die jedoch volumenmäßig geringer ist als 2008, weil es auf Lilleø 2009 wenig geregnet hat. Allgemein ist es ja nun nicht das Wasser, das den dänischen Weinbergen fehlt, und das warme Jahr 2009 hat so gute Trauben ergeben, daß Selmer überlegt, einen reinen Sauvignon Blanc abzufüllen, der gegebenenfalls eine so große ästhetische Sensation werden kann, wie es der Arwen 2008 jetzt ist. Wenn auch nicht ganz unvorhergesehen. Auf dem ersten Sauvignon-blanc-Kongreß der Welt, der im August letzten Jahres in Graz stattfand, sah einer der führenden Weinbauexperten der Welt, Dr. Richard Smart, voraus, daß sich der Sauvignon Blanc gut für Länder wie England und Dänemark eignen wird. Viel deutet darauf hin, daß er recht hat – was man wahrscheinlich vor Ablauf eines Jahres durch eigenes Probieren untermauern können wird.
„Supergut zu gedämpften Muscheln“
Anders Selmer ist gewöhnlich Restaurantinhaber und fungiert in seinem Restaurant „Fiskebaren“ in Kopenhagen auch als Sommelier. Dort steht Arwen für 650 Kr. [93 €] für eine Flasche und 130 Kr. [18 €] für ein Glas auf der Weinkarte. Obwohl Selmer zu bescheiden ist, um den Wein selbst auf die Tische zu pushen, gehen die Flaschen trotzdem gut, wenn die Gäste hören, daß der Wein offenkundig das Resultat eigenen Anbaus ist, und daß der Weinmacher gerade dort oben in der Bar steht. Außerdem paßt Arwens Ausdruck perfekt zu dem leichten und delikaten Küchenstil, mit dem die „Fiskebaren“ arbeitet. „Arwen ist ein Wein mit einer guten, geradlinigen Säure, die mit einer feinen Frucht ausbalanciert ist. Die Frucht macht, daß er trinkfreundlich ist, aber er ist ganz klar schlank und eignet sich am besten zu leichten und grünen Gerichten und zu Fisch und Schalentieren“, urteilt Anders Selmer, „zum Beispiel spielt er supergut mit gedämpften Muscheln zusammen, wegen der leichten Süße der Schalentiere, die der Wein fängt.“ Mein eigenes Notizbuch kann ergänzen: „Leicht cremige und delikat würzige Nase von Orangenblüten, Muskat, Holunder, Rose, zart parfümiert; imponierende fruchtige Schwere, die die lebhafte Säure balanciert; die Gesamtheit in vortrefflicher Balance, sehr appetitliche Komposition.“ Ein Glückwunsch an Anders Selmer und den Rest der Mannschaft hinter Arwen ist hier am richtigen Platz. Dasselbe möge in der Zukunft für Dänemark als Weinland gelten. Schönheit ist nicht mehr nur ein Potential.
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